Dienstag, 07.05.2024

by Ralf Haug

Heute fahren wir sehr lange Bus. Es geht nach Gadara, an die Grenze zu Syrien. Von dort sind es gerade noch 150 km nach Damaskus. Auf der Fahrt erzählt uns Kareem seine bewegende Geschichte. Er beschreibt sich als einen sehr wissenshungrigen Mann, der das Glück beim Schopfe packt und mit einem Freund nach Stuttgart kommt. Sie wollen beide in Deutschland studieren. Zunächst wohnen sie verbotenerweise in einem Dachzimmer. Sie dürfen spät in der Nacht hinaufsteigen und müssen früh am Morgen wieder raus. Irgendwann trifft er auf einen fernen Verwandten, der ihm eine Unterkunft bietet. Bald kommt er nach Hamburg und kann sich auf einer Hochschule einschreiben. Sein Studium finanziert er durch die Arbeit als Schweißer. Bevor er sein Studium beginnt, verdient er sich seinen Grundstock, Stundenlohn 3,80 DM. Er ist glücklich. Er fliegt zurück nach Hause und dort wartet eine Überraschung auf ihn. Kurze, wissenschaftliche Unterbrechung durch Markus: Wir besuchen heute einige Dekapolis-Städte, wir haben die Perspektive der Autoren, für die diese Welt versiegelt waren. Die Archäologie kann hier Licht ins Dunkel bringen. Die Dekapolis ist ein Bündnis von Städten. Die Städte entstanden erst nach Jesus. Heute werden wir drei davon sehen, Gadara, Pella und Gerasa. Auch Amman gehört dazu. Nach der Zerstörung des Tempels 70 n. Chr. flohen viele hierher. Die einzige Stadt auf israelischer Seite haben wir gesehen, Bet Schean. Alle Dekapolis-Städte sind orientalische Städte. Gadara ist eine Stadt mit schwarzem Basalt. Kareem spricht über das Müllproblem. Es gibt in Jordanien drei Symbole, die wilde Eiche, die schwarze Iris, die nur zwei Wochen blüht und das Rotkehlchen. Nach Kareems Meinung gibt es noch ein viertes Symbol, die fliegende Plastikflasche. Es gibt eine Müllabfuhr, aber dennoch werfen die Menschen gebrauchte Flaschen einfach weg, es wird noch einige Generationen brauchen, bis sich da etwas ändert. Zurück zu Kareems Überraschung, als er von Hamburg nach Hause zurückkehrt. Er muss heiraten. Praktischerweise haben die Eltern die Frau auch schon ausgesucht. Sie ist stolze 13,5 Jahre alt! Er will nicht, aber er muss. Der Großvater nimmt ihn mit zur Familie der Braut, es gibt Kaffee, die der Gast immer mit der rechten Hand erhält, wenn der Großvater die Tasse hinstellt, weiß der Gastgeber, dass dieser ein Anliegen hat. Alles geht ganz schnell und er hat eine Braut. Ein Zurück gibt es nicht. Er will nicht, aber er muss. Er nimmt seine Frau nach einer opulenten Hochzeit mit nach Frankfurt, sie lernt ganz schnell Deutsch. Gerade fahren wir an einem Camp von Palästinensern vorbei, das 1967 entstanden ist. Palästinenser gelten hier als sehr fleißig, einige von ihnen besitzen in Amman Häuser, leben aber trotzdem auf beengten Raum in den Camps. Kareem kehrt nach zwei Jahren mit seiner jungen Frau nach Jordanien zum Urlaub zurück. Ohne ein Kind. Für die Frau bedeutet dies ein Martyrium, ein Spießrutenlaufen. In Hamburg zurück geht es los, ein Mädchen wird geboren, nicht so gut. Und die beiden lieben es so. Wieder kommt ein Kind zur Welt, wieder ein Mädchen, die Familie macht Druck, beim vierten Kind klappt es endlich, ein Junge wird geboren. Insgesamt sieben Kinder bringt seine Frau zur Welt, sie sind beide vom eigenen Traum weit entfernt. Er selbst ist stolz, dass er es mit seinen eigenen Kindern anders gemacht hat. Sie durften viel freier leben und entscheiden, ihre Partner konnten sie selbst aussuchen. Die Dinge ändern sich, wir fahren weiter nach Gadara, die Großstadt Irbit lassen wir rechts liegen. Kareem steigt aus und kauft für uns ein. Die Menschen hier haben wenig und geben uns noch etwas davon ab. Gestern sprach er von einer ungeheuren Staatsverschuldung, 41 Milliarden Dinar, das sind vielleicht 50 Milliarden Euro. Für uns ein Witz, für Jordanien ein riesiger Berg. Kareem hat seine Frau angerufen, sie wird für uns Tee vorbereiten, es ist ihm sehr wichtig uns einzuladen. Es ist 11.00 Uhr und wir waren gerade bei Kareem zu Hause. 30 Menschen, einfach so, seine Frau empfing uns mit Kaffee und Tee und wunderbarem Gebäck. So schön. Jetzt geht es aber wirklich nach Gadara. Gadara ist ein Traum aus Basalt, wir sehen das Theater und staunen, wie erhalten es ist. An anderen Orten ist das nicht so. Dort wo Sandstein oder Mamor verbaut wird, wird unglaublich viel gestohlen. Mit schwarzem Basalt kann niemand etwas anfangen. Gott sei Dank. Oder vielleicht besser, den Römern sei Dank. Sie haben neben dem tollen Theater einen gut erhaltenen Cordus Maximus, eine Hauptstraße mit Geschäften und an einer sehr prominenten Stelle eine achtschiffige Kirche geschaffen, wie wir sie bereits in Israel gesehen haben, sehr, sehr gut erhalten, Basalt eben. Und dann der Blick auf den See Genezareth. Ich bin so gerührt hier zu sein. Gadara ist die Stadt der Dichter und Philosophen. An einer Stelle zitiert Kareem einen wunderbaren Satz. Er lautet: „Zu dir Reisender, wie du war ich und wie ich bin, wirst du sein, nütze das Leben als Sterbender“. Das war Gadara. Jetzt fahren wir auf einer engen Straße hinunter in den Jordangraben. Wir werden sogar von der Polizei kontrolliert, Kareem schimpft danach. Alles Schikane. An einem Stausee vorbei geht es Richtung Pella, der nächsten Dekapolis-Stadt. Im Jordantal denken wir an die 400jährige Geschichte der Osmanen, die auch die Äthiopier mitbrachten, die Nachfahren, die hier leben sind besonders arm. Im Sommer ist es hier so heiß, dass es den Menschen unmöglich ist, Ramadan zu halten. Viele von ihnen arbeiten in den Plantagen, grün und fruchtbar ist es hier. Und trotzdem herrscht große Armut. Wir fahren auf einer großen Straße, auch hier wieder mit ganz vielen Humps. Was gäbe es da in unserem Land für wilde Bürgerinitiativen. Auf der Fahrt ein Gespräch mit Kareem über Homosexualität, in Jordanien unvorstellbar. Kareem kichert ein wenig, als Christian ihm von zwei Müttern oder zwei Vätern erzählt. Wir fahren in einem chinesischen Bus, keine Ahnung, wie viele Kameras der eigentlich hat. Als Verschönerung hat der Fahrer sich einen Mercedesstern aufgeklebt. Wir können heute nicht Essen gehen, die Zeit fehlt, ein Verwandter von Kareem hat hier zufälligerweise ein Geschäft, der uns irgendwo an der Straße abpasst und uns mit Hähnchen und Pommes versorgt. Melanie fragt, sie wolle etwas ohne Fleisch, Kareems Antwort: Ja, Hähnchen. Das erinnert mich an eine bayrische Wirtin, die meiner Tochter sagte, bei uns nehmen die Vegetarier immer Salat mit Pute. Nicht wirklich lustig, ich weiß. Ein kurzer Stopp in Pella, quasi ein Fotostopp. Interessant, dass der römische Geschichtsphilosoph Flavius Josephus berichtet, dass zu Beginn des jüdischen Krieges über den Jordan Christen geflüchtet sind. Sie sollen hier in Pella untergekommen sein. So war diese Gegend ein Garant für das Überleben der Christenheit. Wir entdecken Spuren aus allen Zeiten, sehen einen Tell aus der Eisenzeit. Und dann kam der Tageshöhepunkt, Gerasa. Ich finde kaum Worte. Ich trete durch das mächtige Hadrians-Tor, welches außerhalb der Stadt liegt, in eine römische Stadt mit Ausmaßen, wie ich sie vorher noch nie gesehen habe. An einer Ölpresse vorbei, kurz danach ein Hippodomus, in welchem tatsächlich Ben Hur gedreht wurde. Ich beschließe sofort den Film daheim nochmals anzuschauen. Das Hippodomus hat eine Zuschauertribüne und ansonsten kann man sich die Wagen und Pferderennen auf diesem riesigen Gelände wirklich gut vorstellen. Dann geht es weiter und wir kommen zu einem ovalen Forum mit einer Säule in der Mitte, die den Cordus Maximus und dem Zeustempel auf der Höhe miteinander verbindet. Die ganze Anlage ist so mächtig. Unfassbar. Wir machen Fotos, aber die Bilder in unserem Herzen werden größer sein. Wir gehen ins Theater, sehr gut erhalten, im Sommer gibt es dort 10 Tage lang ein Festival, da wäre ich gerne dabei. Ich denke an Deutschland, wo dieser Ort als Versammlungsstätte niemals erlaubt wäre, hier macht man sich da locker. Wir gehen an einer Ziegenherde vorbei und versuchen den Hundertfüsslern auszuweichen, die gerade über den Boden kriechen. Wir kommen zu einem Komplex mit drei Kirchen. Schließlich landen wir beim Tempel der Artemis, einer unehelichen Tochter des Zeus, eine anatolische Göttin. Das Licht am Abend ist so wunderbar, die gelben Steine und der Lichteinfall, es ist einfach magisch hier. Am Ende des Tages werden mir die Erklärungen zu viel, ich höre nicht mehr zu und lasse die Anlage insgesamt auf mich wirken. Es wird dunkel und wir fahren zurück ins Hotel nach Amman. Wir sind heute Morgen um 08.00 Uhr los und kommen nach 20.00 Uhr zurück. Das war der Tag.