Am Samstag wurden die Zeugnisse verliehen für unsere Abiturientinnen und Abiturienten. Es war eine würdige und schöne Veranstaltung. Wer möchte, darf im Folgenden meine Abiturrede lesen.
Liebe Abiturientinnen und Abiturienten, liebes Kollegium, stolze Eltern und Gäste,
Heute feiern wir einen Moment des Aufbruchs! Ihr steht an der Schwelle zu einem neuen Kapitel eures Lebens – und was für ein aufregendes Kapitel das sein wird!
Lasst mich euch zuerst aus vollem Herzen gratulieren. Ihr habt es geschafft! Jede Klassenarbeit, jede Nachprüfung, jede durchwachte Nacht vor einer Klausur – all diese Momente haben euch hierhergeführt. Ihr habt Durchhaltevermögen bewiesen, Widerstandskraft entwickelt und euren eigenen Weg gemeistert. Dafür gebührt euch unser aller Respekt und Anerkennung!
Die Welt, die nun vor euch liegt, ist ein unendlicher Raum voller Möglichkeiten. Sie ist wie ein unbeschriebenes Buch, dessen Seiten nur darauf warten, mit euren Geschichten gefüllt zu werden. Und die schönste Nachricht ist: Ihr seid die Autorinnen und Autoren! Ihr bestimmt, welche Abenteuer die nächsten Kapitel bereithalten.
Wisst ihr, was die wichtigste Eigenschaft ist, die ihr jetzt mitnehmen solltet? Es ist die Neugier. Diese wunderbare, kindliche Neugier, die fragt: „Was wäre wenn?“ und „Warum nicht?“. Bewahrt euch diese Neugier, denn sie ist der Schlüssel zu einer Welt der Entdeckungen und Innovationen.
Lasst mich euch eine Geschichte erzählen. Eine Geschichte aus der nicht allzu fernen Zukunft:
Es war einmal – nein, es wird einmal sein – eine Welt, in der Menschen wie ihr die alten Grenzen überwunden haben. Eine Welt, in der eure Generation erkannt hat, dass die größten Herausforderungen auch die größten Chancen bieten.
In dieser Welt sind Städte zu lebendigen Gärten geworden, wo zwischen futuristischen Gebäuden üppiges Grün wächst und die Luft so klar ist wie in den Bergen. Die Energie kommt von der Sonne, dem Wind und dem Meer – alles Geschenke der Natur, die wir endlich zu nutzen gelernt haben.
In dieser Welt heilen wir Krankheiten, die heute noch als unheilbar gelten. Einige von euch werden daran mitgewirkt haben, mit dem Wissen, das ihr euch aneignen werdet, und mit der Kreativität, die in euch schlummert.
In dieser Welt hat Bildung neue Dimensionen erreicht. Man lernt nicht mehr nur aus Büchern, sondern durch Erfahrungen, die alle Sinne ansprechen. Man reist virtuell zu den Pyramiden, taucht ab in die Tiefsee und erforscht den Weltraum – alles in einem Klassenzimmer, das keine Wände mehr kennt.
In dieser Welt haben wir gelernt, über Unterschiede hinweg zusammenzuarbeiten. Die Vielfalt der Sprachen, Kulturen und Denkweisen wird nicht mehr als Hindernis gesehen, sondern als das, was sie wirklich ist: ein unschätzbarer Reichtum.
Dabei fällt mir eine zweite Geschichte ein, die Geschichte von der Gärtnerin der Gemeinschaft:
Es gab einmal eine junge Frau, die mit eurem gleichen Feuer in den Augen ihr Abitur abschloss. Sie hatte keine konkreten Pläne, nur den tiefen Wunsch, etwas zu verändern. In einem vergessenen Stadtteil entdeckte sie eine brachliegende Fläche zwischen Betonbauten – grau, verlassen und voller Müll.
Wo andere nur Verfall sahen, sah sie Potenzial. Sie begann, den Boden zu säubern und erste Samen zu pflanzen. Anfangs lächelten die Anwohner nur müde. „Das wird doch nichts“, sagten sie. Doch sie ließ sich nicht entmutigen.
Eines Tages kam ein kleines Mädchen und fragte: „Was machst du da?“ – „Ich pflanze einen Garten“, antwortete sie. „Darf ich helfen?“, fragte das Kind. Und so begann es.
Tag für Tag kamen mehr Menschen dazu. Ein pensionierter Gärtner brachte sein Wissen ein, eine Gruppe Jugendlicher baute Hochbeete aus recycelten Materialien, Familien brachten Samen aus ihren unterschiedlichen Heimatländern mit. Hier wurde niemand weggeschickt oder ausgrenzt, alle waren und sind willkommen.
Nach einem Jahr war der Ort nicht wiederzuerkennen. Wo einst Müll lag, wuchsen nun Tomaten, Kräuter und Blumen in allen Farben. Der Garten wurde zum Treffpunkt. Menschen, die jahrelang im selben Haus gewohnt hatten, ohne miteinander zu sprechen, tauschten nun Rezepte aus. Kinder lernten, woher ihr Essen kommt. Ältere Menschen fanden einen Ort, an dem ihre Erfahrung geschätzt wurde.
Was als kleines Projekt einer einzelnen Person begann, wurde zu einem Modell für die ganze Stadt. Die junge Frau hatte nicht nur einen Garten angelegt – sie hatte eine Gemeinschaft wachsen lassen.
Dorthin verschlug es auch den Brückenbauer der Begegnung:
Ein junger Mann, frisch vom Abitur, war fasziniert von der Art, wie Menschen kommunizieren. Er beobachtete, wie oft wir aneinander vorbeireden, wie wir in unseren Filterblasen leben und wie leicht Missverständnisse entstehen.
Er entwickelte eine einfache Idee: Was, wenn wir Menschen zusammenbringen könnten, die sich sonst nie begegnen würden? Er entwarf eine App, bei der man nicht durch Ähnlichkeiten, sondern durch Unterschiede verbunden wurde. Der Arzt wurde mit dem Straßenkünstler vernetzt, die Studentin mit dem Rentner, der Banker mit dem Sozialarbeiter.
Die Regeln waren einfach: Zuhören, Fragen stellen, Respekt zeigen. Die Gespräche begannen virtuell, aber viele setzten sich in der realen Welt fort – bei einem Kaffee, einem Spaziergang, einem gemeinsamen Projekt.
Was als Experiment begann, veränderte das Leben vieler Menschen. Die Teilnehmer berichteten von neuen Einsichten, von durchbrochenen Vorurteilen, von unerwarteten Freundschaften. Ein älterer Herr, der jahrelang allein gelebt hatte, fand durch einen jungen Nachbarn wieder Anschluss an seine Gemeinschaft. Eine Managerin änderte die Firmenpolitik, nachdem sie die Perspektive einer alleinerziehenden Mutter kennengelernt hatte.
Der junge Mann hatte keine neue Technologie erfunden – er hatte lediglich einen Raum geschaffen für das, was wir Menschen am besten können: uns begegnen, uns verstehen, voneinander lernen.
Liebe Abiturientinnen und Abiturienten, diese Geschichten mögen wie Märchen klingen, aber sie sind näher an der Realität, als ihr vielleicht denkt. Überall auf der Welt gibt es Menschen, die mit kleinen Schritten Großes bewirken – Menschen wie ihr es sein könnt.
Habt Mut, eure eigenen Wege zu gehen! Die spannendsten Entdeckungen wurden nie auf ausgetretenen Pfaden gemacht. Steve Jobs hat es einmal so ausgedrückt: „Die Menschen, die verrückt genug sind zu denken, sie könnten die Welt verändern, sind diejenigen, die es tun.“
Habt Mut, zu scheitern! Hinter jedem Erfolg stehen zahlreiche Versuche, die nicht geklappt haben. Thomas Edison brauchte tausend Anläufe für die erste funktionierende Glühbirne und sagte: „Ich bin nicht gescheitert. Ich habe nur 1000 Wege gefunden, wie man keine Glühbirne baut.“
Habt Mut, gemeinsam zu handeln! Die größten Herausforderungen unserer Zeit können wir nur bewältigen, wenn wir zusammenarbeiten.
Und vor allem: Habt Mut, eure Träume zu leben! In jedem von euch steckt ein einzigartiges Talent, eine besondere Gabe. Manche von euch haben sie bereits entdeckt, andere werden sie auf ihrer Reise noch finden. Folgt dieser Begabung – sie wird euch zu eurem Platz in der Welt führen.
Liebe Abiturientinnen und Abiturienten, wenn ihr in einigen Jahren auf diesen Tag zurückblickt, werdet ihr erkennen, dass dies nicht das Ende war, sondern der wahre Anfang. Der Anfang einer aufregenden Reise, auf der ihr die Welt und euch selbst neu entdecken werdet.
Ich sehe in euren Augen den Funken der Begeisterung, die Vorfreude auf das, was kommt. Haltet dieses Feuer am Brennen! Denn ihr – ja, genau ihr – seid diejenigen, die die Geschichte der Zukunft schreiben werden.
Geht hinaus mit offenen Augen, offenen Ohren und vor allem mit einem offenen Herzen. Die Welt wartet auf euch, auf eure Ideen, eure Energie und eure Träume.
Herzlichen Glückwunsch zu eurem Abitur – und willkommen in eurer Zukunft!